Eine Frage des Überlebens

Eine Frage des Überlebens

In einer Zeitspanne von knapp 200 Jahren, die von den Anfängen der Industrialisierung bis in die Gegenwart reicht, wurde der natürliche Kreislauf der Jahreszeiten, mit dem Werden und Vergehen der Flora, durch den Kohlenstoffdioxidausstoß der modernen Lebensweise aus den Angeln gehoben. Die Bedeutung des Grünen für die Existenz des Lebens auf der Erde wird jenen Menschen, die in den Industrienationen leben, erst jetzt überdeutlich, da sich die durch den Klimawandel veränderten Lebensbedingungen auch in den gemäßigten Klimazonen nicht mehr leugnen lassen und deutlich sichtbar und erfahrbar werden. 

„Zombie“-Baum: Eine tote Fichte lebt mit ihrem Moosbewuchs in veränderter Form weiter

Wenn im Hochsommer Rasen vertrocknet, schaut niemand hin. Im Jahr 2022 aber verdorrte Rasen bereits im Frühjahr. Gemüse und Blumen verkümmerten in den Gärten noch bevor der Frühsommer kam. Dürre ergriff sich die Sträucher und Stauden des städtischen Grüns, Stadtbäume mussten durch zusätzliche Wassergaben gerettet werden. Laub sank vertrocknet zu Boden, schon Monate vor der eigentlichen Herbstsaison. In den Wäldern sterben Fichten an der Hitze oder werden vom Borkenkäfer befallen und zerstört. Die Winter sind inzwischen so mild geworden, dass sich der Käfer ungehindert vermehrt. Kettenreaktionen werden angestoßen, deren Ausmaß kaum zu überblicken ist. Wenn der Wald nicht von der Hitze und den Käfern dahingerafft wird, wird er ein Opfer der Flammen bei vielerorts aufkeimenden Bränden und kaum zu löschenden Feuersbrünsten. Selbst Rasenflächen in städtischen Parks entzünden sich in der sengenden Sonne wie von selbst. Der Regen bleibt in einem Sommer im Zeichen des Klimawandels gänzlich aus oder ergießt sich als zerstörerische Sturzflut. Nichts scheint mehr vorhersagbar.

Auf Totholz gedeiht ein Moos-„Monster“

Pflanzen hören in der Trockenheit auf zu wachsen und Bäume werfen Laub ab, um sich gegen die Verdunstung ihres letzten Lebenssaftes zu schützen und dadurch vielleicht überleben zu können. Obstbäume blühten im lauen Herbst nach dem Hitzesommer 2022 ein zweites Mal und trugen doch zugleich schon reichlich reife Frucht. Bäume produzierten in ihrer Not so viele Samen wie sie nur konnten, auf Nachwuchs hoffend, wenn sie selbst die Hitze nicht überleben würden.

Eine gefällte Weide lebt noch

Derlei Verzweiflungstaten sind bei Pflanzen selten zu beobachten und deuten auf echte Ausnahmezustände hin. Die heftigen Reaktionen der Flora sollten eindringlich auf uns Menschen wirken, wie Mahnmahle einer heraufziehenden Katastrophe. Können einige Pflanzen den Klimastress überleben, damit sie das Leben auf der Erde weiterhin ernähren? Das vergessene Mauerblümchen könnte dann zum Schlüssel für einen Neuanfang werden.

Die Fähigkeit mancher Pflanzen, auch noch unter widrigsten Bedingungen zu wachsen, ist unser eigentlicher Schatz.

Pflanzen können jedoch kaum weichen, wenn ihr Standort nicht mehr ihren Lebensbedürfnissen entspricht. Sie können sich nicht als Klimaflüchtlinge auf den Weg in passende Lebensbedingungen machen, jedenfalls die meisten Pflanzen nicht. Der Rose von Jericho haftet zwar die Legende an, dass sie vertrocknet und sich zusammenrollt, damit sie vom Wind an einen besseren Ort getragen werden kann. Bewiesen ist diese wundersame Reise nicht. Pflanzen überleben kaum als Individuen, jedoch als Art und im Kollektiv. Samen können in einer trockenen und lebens-feindlichen Umwelt so lange schlafen, bis die Situation sich wieder verbessert hat. Der Mensch muss weichen, will er überleben.

Ein Fichte keimt auf dem Stumpf eines gefällten Baumes

Mag sein, vielleicht trägt ein Mensch auch ein Samenkorn mit sich fort, in der Hoffnung, dass es an einem besseren Ort keimt und wieder grünt, denn die Verbindung von Mensch und Flora ist stark.

Die Hoffnung bleibt, dass die Menschheit aus der Beobachtung von Natur und Umgebung Erkenntnisse gewinnt, daraus Lehren zieht und aus dem Erleben des Klimawandels endlich ins Handeln kommt. Menschen haben dies zuvor ja bereits sehr erfolgreich bei der Eroberung ihres Lebensraumes getan. Die Herausforderung ist riesig, denn nie lebten gleichzeitig so viele Menschen auf dem Planeten, wie im 21. Jahrhundert. Und die Bevölkerung wächst. Die Menschheit sollte dringend einen anderen Umgang mit der Flora pflegen, sich eine symbiotischere Lebensweise zum Vorbild nehmen, sonst zerstört sie die eigene Lebensgrundlage. Zwischen Naturnutzung und Naturzerstörung liegt der feine Grad der Erkenntnis über die tatsächlichen Abhängigkeiten. Der Mensch der Zukunft sollte dem Grün den gebührenden Raum geben und sich selbst einen Platz an der Seite der Flora sichern. Dieser vermeintliche Rückschritt wäre ein eigentlicher Fortschritt, nämlich die Wiederherstellung der verlorenen Balance, die eigentliche Rückkehr ins Paradies.

Grün. Farbe der Flora

Veröffentlicht von

EditionSZ

Aus dem Prozess des Verstehens wählt die Autorin Sibylle Zerr Bilder und Texte, und erschafft Unikate. Von der Idee über die Kreation bis zur Veröffentlichung, die Text- und Bild-Werke erscheinen im eigenen Verlag, der Edition Sibylle Zerr. ISBN Verlagsnummer 978-3-944792

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