Paradox des Blauen Planeten

Paradox des Blauen Planeten

Grün steht am Anfang des Lebens auf unserem Planeten und doch nennen zeitgenössische Menschen die Erde auch den Blauen Planeten. Es ist dies eine Sichtweise, die erst durch die Raumfahrt möglich wurde. Vom Weltall aus betrachtet, aus einer Entfernung von etwa 29.000 Kilometern, schillert die Erde tatsächlich blau. Wasser lässt den Planeten aus dieser Höhe blau erscheinen. Knapp drei Viertel der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Die Südhalbkugel ist fast gänzlich von Meer bedeckt. Zwar ist Wasser als Substanz transparent, ab einer gewissen Tiefe bekommt es jedoch einen immer stärkeren Blauschimmer. Hervorgerufen wird dieser Effekt durch die Brechung des Lichtes. Nicht nur das Blau des Himmels spiegelt sich im Wasser, durch ihre abgründige Tiefe erscheinen vor allem die Ozeane vom Weltall aus betrachtet in sehr kräftigem Blau.

Casuarina-Bäumchen wiegt sich im Sturm am Südchinesischen Meer

Natürlich täuscht der Blick aus dem Weltall: Die Erdoberfläche ist zwar zum Großteil von Wasser bedeckt, doch gemessen am Volumen der Erde, bilden die Meere lediglich eine hauchdünne Schicht an deren Oberfläche. Tatsächlich macht das Wasser nur einen Bruchteil der Erdmasse aus. Fast das gesamte Wasservorkommen der Erde ist jedoch bereits in den Ozeanen enthalten. Das salzhaltige Meerwasser eignet sich nicht als Trinkwasser für Mensch und Tier, kann jedoch von darauf spezialisierten Pflanzen zur Fotosynthese genutzt werden. Diese Pflanzen verbrauchen Salzwasser und dunsten Süßwasser aus. So bilden Mangrovenwälder dank dieser Eigenart einen Schutzwall für das Leben an tropischen Küsten auf der ganzen Welt. Pflanzen haben durch die Fotosynthese einen wesentlichen Anteil am Erhalt des Süßwasservorkommens. Das kostbare und rare Süßwasservorkommen unseres Planeten ist vor allem in Gletschern und an den Eiskappen der Pole gefroren. Nur ein winziger Bruchteil des Süßwassers zirkuliert in der Atmosphäre, befindet sich im Grundwasser, in Seen und Flüssen oder in der Luft.

Süßwasser ist weltweit kostbar: (v.l.n.r.) Burgbach-Wasserfall, Schapach/Schwarzwald; Rinnsal im Grusenloch, Lauterbach/Schwarzwald; Wasserfall am Nebenfluss des Temburong, Brunei/ Borneo
Tropischer Regenwald im Labi Forest Reserve, Brunei/Borneo
Naturschutzgebiet Glaswaldsee, Schwarzwald/Deutschland

Der Blaue Planet ist also eine Chimäre der Kosmonautik. Sehr wenige Menschen haben den Blauen Planeten tatsächlich mit eigenen Augen gesehen. Dennoch ist das Bild zum Allgemeingut geworden und steht längst ikonisch für unsere Erde. Sie ist der einzige Planet in unserem Sonnensystem, auf dem an der Oberfläche dauerhaft Wasser in allen drei Aggregatzuständen zu finden ist: zu Eis erstarrt, flüssig und als Wasserdampf in der Atmosphäre. Es macht die Erde in unserem Sonnensystem einzigartig. Was Raumfahrende aus großer Höhe sehen, entspricht jedoch nicht dem Aussehen der Erdoberfläche in der Wahrnehmung der auf dieser Erde Lebenden. Sie ist vielmehr eine Projektion der Weltall Erfahrung, die uns durch

Medien übermittelt wird. Sie ist deshalb nicht falsch. Der Blick aus dem Weltall ist aber elitär und spiegelt uns zudem falsche Tatsachen vor. Es gibt das Blau nicht im Überfluss und also ist auch das Grün eine rare Kostbarkeit. Ein Perspektivwechsel hin zur Wahrnehmung der auf dem Planeten Erde Lebenden wird hilfreich sein für diese Betrachtung, die auf die Bedeutung der Farbe Grün für das menschliche Leben abhebt.

Grün hängt vom Zustand und Vorkommen des Wassers ab: gefrorenes Wurmfarn (links); junge Triebspitze des Adlerfarns (rechts)
Wenn Grün verschwindet mit den Jahreszeiten (links und rechts): Fohren im Sommer und Winter

Der überhöhte Blick mag für unsere Zukunft nützlich sein und zum Erkenntnisfortschritt beitragen. Satelliten spähen aus dem Weltall die Erdoberfläche aus und erlauben Einsichten in übergeordnete Zusammenhänge, die durchaus auch die grüne Vegetation betreffen. In den Satellitenbildern wird deutlich, dass die grünen Bereiche unseres Planeten sehr klein sind und zudem immer mehr schwinden. Man kann dem Verschwinden des Grüns aus dem Weltall zusehen. Genau diese grünen Bereiche sind unsere wichtigsten Lebensbereiche. Für uns Menschen sind sie überlebensrelevant.

Grün verschwindet mit den Jahreszeiten (v.l.n.r.): Ein Apfelbaum im Frühjahr und im Winter

Rippenfarn bleibt auch im Winter grün.
Wurmfarn stirbt ab, sobald es Herbst wird.
Wüstenerfahrung: In den Dünen (links) und im Treibsand (rechts), Korte Duinen Naturreservat, Soest, Niederlande

Kehren wir zu dem zurück, was wir nicht wissen, sondern glauben: Im Koran steht die Farbe Grün für die Seele und das Paradies. Grün hat als Zeichen für Fruchtbarkeit und Wachstum bei den beduinischen Wüstenvölkern natürlich eine größere Bedeutung als für christliche Europäer, denen Oasen und Wüsten im eigenen Territorium ja bis heute fremd sind. Man sollte allerdings im Auge behalten, dass die Wüsten Arabiens, Asiens und Afrikas auch ein Stück weit von Menschen gemacht sind. Abholzung für Feuer-und Bauholz, Weidewirtschaft für die Fleisch und Milcherzeugung, haben dem Grün in warmen und heißen Klimazonen den Garaus gemacht. Wasserarm wurden diese Regionen auch, weil man das Grün überweidet, verdrängt und vernichtet hat, und mithin die Fähigkeit der Pflanzen, allen voran der Bäume, durch die Fotosynthese Wasser zu binden und wieder in die Atmosphäre abzugeben. So hat der Mensch sich selbst mit der Zerstörung des Grüns aus dem Paradies vertrieben.

Kiefer mit entblößten Wurzeln, im Treibsand der Korte Duinen, Soest, Niederlande

Im christlichen Schöpfungsmythos Genesis lesen wir, dass Gott am ersten Tag der Schöpfung über dem Wasser schwebte und sprach, „Es werde Licht!“ Dann, so steht es geschrieben, schied er Wasser und Land, um gleich am zweiten Schöpfungstag die grünen Pflanzen auf den Schöpfungsplan zu rufen: „Das Land brachte sodann junges Grün hervor, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, alle Arten von Bäumen, die Früchte bringen mit ihrem Samen darin. Gott sah, dass es gut war“. Somit hat der biblische Schöpfergott mit den grünen Pflanzen die Grundlage für die Tierwelt und die Menschwerdung geschaffen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Bibel ein von Menschen aufgezeichnetes Werk ist, dann stimmt es durchaus hoffnungsvoll, dass die erste Erkenntnis dem Grün eine so tragende Rolle einräumt. Das Wissen um diese Zusammenhänge entwuchs den praktischen Herausforderungen des Überlebens, denn die Bibel ist ein Buch, das auch die Erfahrung der Wüste kennt und beschreibt. Der Mensch als Wesen, das zur Erkenntnis fähig ist, hat über Generationen hinweg die Einsicht gewonnen, wie er sich anpassen und die Natur zu seinem Vorteil nutzen kann, um als Menschheit insgesamt zu überleben. Diese Wertschätzung der Lebensgrundlage spiegelt sich sehr eindringlich, nämlich poetisch in der biblischen Anfangserzählung, die den grünen Pflanzen so große Wertschätzung entgegen bringt. Die Wüste wird in der Bibel zum Ort der Reinigung und der Buße, aus der man geläutert für das Leben in die Zivilisation zurückkehrt, deren vielleicht größte Errungenschaft es ist, Pflanzen als Nahrung anzubauen.

Weizenfeld, Deutschland

Reisfeld, Vietnam

Grün. Farbe der Flora

Veröffentlicht von

EditionSZ

Aus dem Prozess des Verstehens wählt die Autorin Sibylle Zerr Bilder und Texte, und erschafft Unikate. Von der Idee über die Kreation bis zur Veröffentlichung, die Text- und Bild-Werke erscheinen im eigenen Verlag, der Edition Sibylle Zerr. ISBN Verlagsnummer 978-3-944792

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