Farbkultur

Farbkultur

Schon aus unserem Wissen über die Farbe Grün lassen sich erstaunliche Zusammenhänge ableiten. In der klassischen subtraktiven Farbenlehre gehört Grün nämlich zu den sogenannten Sekundärfarben, analog zu den Farben Lila, Orange und Braun. Diese untergeordneten Farben entstehen durch die Mischung zweier Grundfarben zu je verschiedenen Anteilen. Grün setzt sich demnach aus den Grundfarben Blau und Gelb zusammen. Je nach Mischungsverhältnis ergeben sich hierbei Farbnuancen, die vom sehr hellen Gelbgrün bis ins düstere Türkisgrün reichen. Mischt man die weitere Grundfarbe hinzu, nämlich Rot, dann kippt die Farbe mehr und mehr ins Grau oder Braun und wird undefinierbar.

Die Erfindung des Farbdrucks stellt die subtraktive Farbenlehre allerdings grundlegend in Frage, denn im Druck wird das Rot aus der Durchmischung von Gelb und Magenta erzielt. Spätestens seit der Erfindung des Farbdruckes sollte man also folgerichtig anmerken, dass auch Rot keine Haupt- oder Grundfarbe sein kann. Sogar die weiteren Grundfarben des Farbdrucks, nämlich Cyan und Magenta, unterscheiden sich maßgeblich von den Grundfarben Blau und Rot der klassischen subtraktiven Farbenlehre. Dennoch lassen sich aus den eigentlich vier Grundfarben im Farbdruck alle gewünschten Farbnuancen mischen und durch die Hinzugabe von Schwarz abdunkeln oder durch eine Ausweitung der Weißflächen des Papieres aufhellen. Somit kommt im Farbdruck der Farbe Schwarz für die Farbwirkung eine tragende Rolle zu. Seit Monitore die Welt in Farbe wiedergeben wissen wir allerdings, dass Grün zusammen mit Rot und Blau eine Grundfarbe bei der additiven Farberzeugung ist. 

Das vergessene Grün in der Mauerritze zeigt sich erstaunlich divers und überlebensfähig

Farbenlehren gelten also sehr begrenzt und können verwirren. Das Wissen der Physik sagt kaum etwas darüber aus, wie die menschliche Wahrnehmung Farben priorisiert. Grün wird von uns deutlich als eine Hauptfarbe wahrgenommen, nämlich in einer Reihe mit Schwarz, Weiß, Blau, Rot und Gelb. Dass Grün in unserem Denken allgegenwärtig ist, spiegelt sich in etlichen Redensarten und Sprachbildern wieder: jemandem grün sein, im grünen Bereich liegen, grünes Licht geben, grün hinter den Ohren, den grünen Daumen haben, sich grün und blau ärgern, die grüne Lunge einer Stadt, dasselbe in Grün, auf keinen grünen Zweig kommen und Gefährliches ist oft giftgrün.

Auch physikalisch ist die Dominanz des Grünen nachweisbar, denn das Spektrum des natürlichen Sonnenlichtes verdeutlicht, dass hier neben dem Gelb das Grün den weitesten Raum einnimmt, nämlich einen Bereich von ca. 500 bis 565 Nanometer, während Gelb in etwa den Bereich von 665 bis 575 Nanometer beansprucht. Die meisten Menschen können Wellenlängen zwischen circa 400 und 780 Nanometern mit dem Auge wahrnehmen. Licht ist der sichtbare Teil des elektromagnetischen Spektrums. Die wichtigste natürliche Strahlenquelle für Licht ist die Sonne. Mittelwelliges Licht ist Grün. Das menschliche Auge hat drei Zapfentypen zur Farbwahrnehmung. Die Farbrezeptoren des menschlichen Auges, die für das Sehen des mittelwelligen Lichtspektrums verantwortlich sind, gelten als evolutionär älter als jene, die das langwellige rote Licht wahrnehmen. Dies unterstreicht einmal mehr, welch hohen Stellenwert die Farbe Grün für das menschliche Leben hat.

Ein störender Stadtbaum wird hier scheibchenweise abgetragen

In der bildenden Kunst war das Grün bis zur Erfindung chemischer Farbstoffe und Pigmente um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine eher schwierige Farbe. Natürliche grüne Farbstoffe wie das Mineral Seladonit im Veroneser Grün waren weder klar, noch leuchtend, manche nicht lichtecht oder sogar hoch-giftig, wie etwa das 1805 entwickelte Schweinfurter Grün, welches das hochgiftige Arsen enthielt. Napoleon soll sich an der grünen Tapete seiner Gemächer in der Verbannung auf der Insel St. Helena damit vergiftet haben. Um diese Gefahr zu umgehen, behalf man sich mit der Mischung von reinen gelben und blauen Farbstoffen, wie dies etwa in der mittelalterlichen Buchkunst praktiziert wurde – leider mit mehr oder weniger berechenbaren Farbergebnissen und Haltbarkeiten. Trotz Fortschritten bei der Herstellung von grünen Farben spielt das Grün in der bildenden Kunst des Abendlandes seit dem Eintritt in die Epoche der Moderne zusehends eine untergeordnete Rolle. Die parallel  hierzu fortschreitende Industrialisierung hat die schrittweise Entfremdung des arbeitenden Menschen von der Natur zur Folge. Landschaftsbilder rückten aus dem Fokus.

Der grüne Weg ist ein Beispiel für vergessenes und unbeabsichtigtes Grün. Weil das Gras auf dem Wanderweg regelmäßig klein gehalten wird kann es nicht reifen und bleibt also das ganze Jahr über grün.

„Malt keine grünen Bilder, die kauft keiner, grün geht nicht in der Kunst!“ polterte am Ende dieser Entwicklung im 20. Jahrhundert gar der Maler Georg Baselitz.

Die zunehmende Vermeidung des Grüns seit der abendländischen Moderne erscheint geradezu als Akt einer bedeutungsvollen Abgrenzung gegen das Natürliche, ja als die letzte Überwindung der Natur und ihrer Regeln durch die Kunst – und, denkt man es zu Ende, als Triumph der menschlichen Kultur über die Naturgesetze, eigentlich als eine echte menschliche Errungenschaft. Es ist eine zweischneidige Entwicklung. Ein Künstler kann schon alleine durch die Wahl einer eigenen Farbigkeit über den natürlichen Daseinsgrund hinauswachsen, der ja durch die Farbe Grün eigentlich repräsentiert wird – und verhält sich dabei doch im Grunde wie ein echter Primat, der lieber nach der roten Frucht greift, nach der Ausnahmefarbe, als nach den Blättern, die diese Frucht hervorbrachten.

In der Vermeidung, Auslöschung und Marginalisierung des Grüns in der bildenden Kunst erhebt sich der Künstler als Mensch quasi als kulturelles Selbst-Konstrukt über die Natur und stilisiert sich dabei als Krone dieser Schöpfung. Kunst ist, wie wir sehen, eine eigene Schöpfung, in der die natürlichen Spielregeln außer Kraft gesetzt werden können. Insofern beherrscht der Künstler als Schöpfer tatsächlich sein eigenes Werk, wenn auch als ideelles Konstrukt. Der Künstler lebt seine Utopie. Dabei besteht natürlich auch für den Künstler als Mensch die ursprüngliche Abhängigkeit fort, vom Grün und damit von der Pflanzenwelt.

Die Marginalisierung der Farbe Grün in der bildenden Kunst gerät somit zum Sinnbild des Herrschaftsanspruchs und Handelns des Menschen bezüglich der Natur und steht für die allgemein verbreitete Geringschätzung des Pflanzlichen. Das Bewusstsein der fatalen Abhängigkeit von der Flora taucht ins Unterbewusste ab und mündet im zivilisatorischen Drang das Grün völlig zu beherrschen. Das ist in der Kunst nicht anders als in anderen Zivilisationsbereichen, etwa der Küche, wo das Fleischgericht das Gemüse zur Beilage werden ließ.

An dem ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis ändert sich durch diese eigentliche, dem Akt der Ausmerzung und Verdrängung des Grüns innewohnende Selbstüberschätzung nichts. Es ähnelt dem künstlich und kulturell überformten starren Verhältnis der Geschlechter in patriarchalen Gesellschaften, in denen das Männliche sich über das Weibliche erhebt, es zu kontrollieren, zu unterdrücken oder gar auszurotten trachtet, und letztlich doch völlig von der Frau als Mutter und damit eigentliche Lebensspenderin abhängig ist. Es ist ein unguter Mechanismus, der in seiner Unfähigkeit die wahren Abhängigkeiten zu leben und zu erkennen wie eine Trotzreaktion erscheint und in seiner Konsequenz für einen denkenden und an der Erkenntnis interessierten Menschen eigentlich unerträglich sein müsste. Es ist, als lebe man eine Utopie, die anders als die des Künstlers, nicht gelebt werden kann, da sie per se lebensfeindlich ist. Die Missachtung der Natur und ihrer Ordnung ist weit verbreitet und die Missachtung des Grünen ist nur ein Aspekt des Missstandes.

Grün. Farbe der Flora

Veröffentlicht von

EditionSZ

Aus dem Prozess des Verstehens wählt die Autorin Sibylle Zerr Bilder und Texte, und erschafft Unikate. Von der Idee über die Kreation bis zur Veröffentlichung, die Text- und Bild-Werke erscheinen im eigenen Verlag, der Edition Sibylle Zerr. ISBN Verlagsnummer 978-3-944792

Hinterlasse einen Kommentar